Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
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Aus dem Nähkästchen

Birgits Bericht

 

Das Thema "SM" selber kam sehr spät, nämlich erst mit 25. Mein erstes klares Interesse dafür zeigte sich mit 20 beim Lesen eines Sweet-Gwendoline-Comics, aber da wußte ich nicht, daß das unter "SM" fällt.
Rückblickend hatte ich meine ersten Phantasien vom "gefesselt sein" in der Grundschule, als ich während des Unterrichts meine Haende in die Henkel der Schultasche steckte und mir vorstellte, sie dort nicht wegziehen zu koennen. Während meiner Pubertät dann lag ich abends oft im Bett und spielte "Filmszenen", die meist von Tod, Folter oder Vergewaltigung handelten. Aber was soll man im Bett liegend auch anderes spielen können ;) Mit SM als Begriff und sexueller Variante hatte ich das aber nie verbunden.

Es gab einen interessanten, guten SPIEGEL-Artikel Anfang der 90er Jahre, der war relativ offen geschrieben und stellte SMler als recht normale Leute dar. Damals habe ich das zwar immer noch nicht auf mich bezogen, aber verteidigte in einer Diskussion mit einem Kollegen schon diese "Leute" und meinte, die dahinterstehenden Motivationen seien mir verständlich. Ansonsten hatte ich weder pro noch kontra irgendwelche Informationen dazu. Es war einfach kein Thema.

Der Groschen bezüglich SM fiel in einem Sexshop, als ich erstmals in der SM-Bücherecke stöberte und mich der an der Kasse sitzende Mann ansprach: "das Buch hier ist auch recht gut" und mir den Japan-Bondage-Roman unter die Nase hielt, den er gerade las. Da er zeitgleich auch sporadisch zum örtlichen SM-Stammtisch ging, war ich von Anfang an informiert, wo es die Leute zum Treffen gab. Ich traute mich aber 3 Monate gar nicht hin, da ich als armes kleines Schäfchen nicht unter die reißenden Wölfe gehen wollte. Daher habe ich zunächst 2 Bücher ("Lust an der Unterwerfung" von Sina Aline Geißler und die Trierer Studie) gelesen und dann über Anzeigen im örtlichen Kleinanzeigenblättchen Männer zum Ausprobieren gesucht. Der Auslöser, dann doch dorthin zu gehen, war der Wunsch, mich endlich mit anderen submissiven Frauen auszutauschen, deren Existenz ich nur aus Büchern kannte ;)

Eigentlich kamen viele "Probleme" erst später, durch mehr und neues Wissen. Ich war im Moment der Erkenntnis einfach nur froh, endlich zu wissen, was ich wollte und wohin es mich zog, so daß ich sehr glücklich war. Gegenüber Freunden habe ich mich eher spät geoutet, am frühesten bei meiner Mitbewohnerin, die es recht locker nahm. Ich mußte ja auch mit ihr absprechen, wenn ich ein Date bei uns daheim hatte und sie nicht reinplatzen sollte.

Der Kontakt zum Stammtisch war wie oben gesagt eine gewisse Hürde. Erst die eigenen Experimente gaben mir das Gefühl, daß ich weiß, was ich will und die Sicherheit, auch auswählen zu koennen, mit wem ich will.

Das Interesse war ab dem Moment der Erkenntnis selbstverständlich und problemlos, davor war es einfach nicht direkt da, weil unbenannt. Wichtig war für mich, zu erkennen, daß eine schiefgegangene Session nicht ein Problem mit SM, sondern ein Problem zwischen Spielpartnern war. Es gab nur eine einzige Session, nach der ich beinahe mit SM "aufhören wollte". Damals habe ich mir heftige Eifersuchtsgefühle in einer Flag-Session wegprügeln lassen wollen (wurde mir danach klar). Ich hab damals endlos eingesteckt, bis es von außen wegen Lärmproblemen beendet wurde, und da merkte ich erst, was da wirklich in mir vorging. Wenn ich damals festgestellt haette, daß ich nur solche negativen Gefühle bei SM auslebe, hätte ich zumindest versucht, SM den Rücken zu kehren. Mein Spielpartner war sehr erschreckt über meinen halben Zusammenbruch nach der Session, konnte aber wirklich nichts dafür.

Ich habe mich nach einigen Monaten bei meiner Mutter geoutet, und es lief überhaupt nicht gut. Von "sowas denkt man vielleicht, aber man macht es doch nicht " über "ich hab ein gesundes Kind geboren und du läßt dich verletzen" über "bist du jetzt Freiburgs Hure?" und "wenn du mal Kinder haben willst, werden das Kinder der Gewalt". Es folgte eine relative Funkstille über 2-3 Jahre, die sich jetzt zwar etwas aufgelöst hat, aber über SM wurde nicht mehr gesprochen. Es ist ein Un-Thema. Nach dem, wie die Mutter meines Partners denkt ("jetzt hast du ja eine Freundin, jetzt brauchst du das nicht mehr so") vermute ich, daß auch meine Mutter denkt, daß sich das mit SM etwas "gelegt" hätte ;) Noch dazu, wo mein Partner so schwiegermutterkompatibel erscheint.

Insgesamt rate ich eher weniger zu Outing gegenüber Eltern. Mein Bruder weiß es auch, hats aber locker genommen, mein Vater und Oma wissen es nicht. Im näheren Freundeskreis weiß es eigentlich jeder, und wer es nicht explizit wußte, hats vermutet :) Anscheinend habe ich mich durch offenes Reden und Anspielungen verraten, auch wenn das nicht immer so gedacht war. Viele waren neugierig und wollten immer mal ein bißchen darüber wissen. Allerdings in verdaulichen Portionen und nicht wirklich bis ins Detail. Einer Freundin meiner Mitbewohnerin habe ich beim Outing vor sich selbst geholfen, sie hat aber später eine (denk ich) Vanilla-Beziehung angefangen. Ich halte mich allerdings bei Leuten, von denen ich vermute, daß sie ernste Probleme mit dem Thema hätten, auch etwas zurück.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001