Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Interview mit Maren

 

So ein gutes Jahr vor meinem Coming-Out hat es mal eine Situation gegeben, wo ich gemerkt habe, dass mir härterer Sex und, äh, die Dominanz des Mannes mehr liegt, aber ... also, ich wär jetzt nicht auf die Idee gekommen, da jetzt irgendwie konkret nach zu suchen. Insofern hab ich mich da nicht weiter mit beschäftigt, außer dass ich zu der Zeit grade so einen Artikel im Spiegel gelesen hab, wo eben drinstand, dass bei Frauen ab 30 der Sex sich ändert - weg vom Kuschelsex hin zu härteren Nummern, und damit war das für mich also wissenschaftlich belegt. Ich hab mich da nicht weiter mit beschäftigt. Ich hab nie drauf geachtet, was darüber in den Zeitungen steht, weil ich das alles, was wir damals gemacht haben, nicht unter SM eingeordnet habe. Ich hab mich erst damit beschäftigt, als ich jemand kennengelernt hab, der mich so sehr interessiert hat, dass mich auch das, was ihn beschäftigt, dann selbst beschäftigt hat. Ich hab dann gemerkt, dass da so ein paar Sachen dabei sind, die mich durchaus auch interessieren würden - also, es ist ja dann so, wenn man dann irgendwelche Geschichten liest oder so, man merkt ja, ob's einen erregt oder nicht. Und hab dann irgendwann gesagt: "Ok, probieren wir's". Ich denke grade drüber nach ... wenn mir jetzt ein Mann begegnen würde, der mich interessiert, und der damit überhaupt nichts am Hut hat ... ich weiss nicht so genau, was dann wäre. Wenn er so sehr soft wäre, hätt ich ein Problem damit. Aber ansonsten denk ich mal, wenn's der Traummann ist, würde es wahrscheinlich auch ohne so ganz harte Sachen gehen. So'n bisschen fesseln und Augen verbinden, das bringt, glaub ich jeder, und die meisten Männer machen das auch bestimmt gern.

Es ist bestimmt nicht so, dass ich jetzt nächtelang wachlieg und drüber nachdenk, dass ich nun pervers bin - also, nach dem ersten Versuch hab ich ne Woche gebraucht, und dann hatte ich akzeptiert, dass es eben so ist. Damit hat sich's.

Das ging folgendermassen: Wir hatten ein Blind Date, wir waren miteinander im Bett, wir hatten ganz normalen Sex. Wir hatten uns über eine Kontaktanzeige im Internet kennengelernt, da stand nichts von SM. Und seine Homepage hab ich mir so gründlich nicht angekuckt, dass ich den Link zu BDSM Berlin gesehen hätte. Wenn ich den Link gleich gesehen hätte, dann hätt ich mich auch nicht gemeldet. Weil SM für mich immer so diese Rechtsanwälte waren, die ins Dominastudio gehen, zweimal übern Boden kriechen und dabei kommen. Mehr wusste ich dazu eigentlich nicht. Wo ich das herhatte, keine Ahnung - Filme, Berichte, weiß der Kuckuck. Und ich seh's ja jetzt auch im Freundeskreis, wenn man sich so mit Leuten unterhält, dass viele ähnliche Vorstellungen haben. Also einfach so die Vorstellungen, die Leute haben, die sich eben nicht dafür interessieren. Für die ist das irgendwas total Perverses und Abartiges. Ein guter Freund von mir hat mich neulich irgendwann mal angekuckt und gesagt: "Sag mal, habt ihr jetzt eigentlich auch noch Sex?" Und dann wusste ich auch, dass ich nicht die einzige bin, die da so gedacht hat.

Nach ein paar Wochen hat er sich dann von mir trennen wollen, mit der Begründung, er könnte seine Phantasien nicht mit mir ausleben, und da bin ich dann hellhörig geworden. Er hatte vorher gar nicht nachgefragt, das hat er einfach so angenommen mit seiner Menschenkenntnis. Im Moment ist es sogar, glaub ich, umgekehrt: er fühlt sich ein bisschen überfordert. Ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir nicht zueinander passen, dass das jetzt nur so eine lockere Geschichte ist. Was mir jetzt aber wiederum hilft, weil ich dann auch mit anderen kann, ohne dass er da Probleme mit hat. Weil ich halt im Moment auch einfach noch ein bisschen probieren muss, wie weit es geht und was genau es jetzt ist und was es nicht ist. Ich war mir neulich relativ sicher, dass so ne richtig harten Geschichten mir nicht liegen, aber ich denke, ok, probier's aus, dann weißt du's mit Sicherheit.

Es hat mal jemanden gegeben, der mal von mir ans Bett gefesselt werden wollte. Ich hab's auch gemacht, ich wusste nur dann nicht, was ich mit ihm anfangen soll und hab die Sache dann wieder aufgelöst. Mir war da einfach nach gar nichts. Das einzige, was ich letzte Woche mal gemacht hab: ich hab nen Freund von mir mit dieser Stachelrolle bearbeitet - das war schon ganz interessant, aber einfach aus seiner Reaktion heraus, weil er einfach so wahnsinnig toll reagiert hat. Aber mehr interessiert mich das nicht.

Warum SM den einen Leuten Spass macht und den anderen nicht? Aus den gleichen Gründen, aus denen einem Blutwurst schmeckt und dem anderen nicht. Wobei Blutwurst vielleicht ein unglücklicher Vergleich ist, schreib "Spinat". Oder wie einer, weiss ich nicht, blau schön findet und der andere nicht. Aber bei mir ist das ganz offensichtlich wirklich so, dass da durch Schmerz eine Menge Endorphine ausgeschüttet werden, und wenn das bei jemand anders nicht so ist, dann kann der halt nicht so reagieren. Durch den Schmerz allein passiert bei mir irgendwas, ich erreiche so einen High-Zustand ... das war von Anfang an so. Ich hab dann auch irgendwie überlegt, ob ich's schon eher hätte merken können. Mir fallen da die Geschichten von der Entbindung ein, wie sie alle rumgejammert haben, wie schrecklich das doch gewesen ist, und ich hab halt eigentlich bloß sagen können: "War doch schön!". Ich bin als Kind auch gern zum Zahnarzt gegangen, und ich war auch diejenige, die sich immer gefreut hat, wenn in der Schule so Massenimpfungen angesagt waren. Ich hab mich da immer gerne angestellt, während die anderen alle schlecht drauf waren.

Meine Freunde wissen's, meine Eltern nicht. Ich hab jetzt das SM-Handbuch relativ sichtbar ins Bücherregal gestellt und wart drauf, dass sie irgendwann mal fragen. Was ich dann sage, weiss ich auch noch nicht, ich weiss auch nicht, wie meine Mutter auf die Piercings reagiert. Ich weiss aber noch, wie sie reagiert hat, als ich mir mit fünfzehn die Ohrlöcher hab stechen lassen, insofern kann ich's mir so einigermassen vorstellen [lacht]. Also, mir wär's wichtig, wenn sie's mitkriegen, dass ich dann Gelegenheit hab, es zu erklären. Es wird ja im Sommer unter Umständen dadurch, dass wir dieses Wochenendgrundstück haben und sie mich da nackt sehen, zu Fragen kommen. Meinem besten Freund hab ich's erzählt und der hat die Gelegenheit dazu genutzt, mich eine halbe Stunde später übers Knie zu legen und hat dann sein eigenes Outing mit meinem gleich mitverbunden. Ein Ex von mir, mit dem ich jetzt auch noch befreundet bin, hat mir dann erklärt, dass der Eric Kroll, der bei ihm im Bücherregal steht und den ich damals also ziemlich entsetzt wieder weggestellt hab, dann doch nicht nur ein Scherz seiner Freunde ist, sondern dass es da schon irgendwelche Hintergründe gibt. Ein anderer Freund, den ich jetzt ein Jahr nicht gesehen hab, der letzte Woche plötzlich wieder auftauchte, ist auch ziemlich begeistert. Das war letztes Jahr eine Affäre, die wir gerade wieder aufleben lassen unter etwas anderen Gesichtspunkten.

Meine Freundin war am Anfang völlig geschockt, inzwischen fängt sie dann auch an zu fragen und will's etwas genauer wissen. Nicht dass es sie jetzt interessiert, weil sie's auch haben wollen würde, aber sie will halt auch wissen, was ich da mach. Zwei andere Freundinnen - die eine macht sich ganz doll Sorgen um mich, und die andere findet das schon ganz spannend und mutig und überhaupt. Brigitte findet das schon alles irgendwie pervers und abartig und kann das auch überhaupt nicht verstehen und es nützt auch nichts, dass ich versuche, es ihr zu erklären. Aber es ist halt auch eine andere Generation. Die ist ja noch viel weniger so mit Aufklärung aufgewachsen als wir.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001