Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Olivers Bericht

 

Damals wußte ich noch nicht, daß man das SM nennt. Im Alter von ca. 11 Jahren war ich in meine Schulferien oft bei meiner Tante untergebracht. Sie hatte sehr viele schöne Schuhe. Zu dieser Zeit ( Anfang der Achtziger) waren hohe Absätze modern. Ich durfte mich bei ihr mit ihren Kleidern verkleidern und genoß es, ihre Schuhe anzuziehen. Mit einem Stückchen Seil fesselte ich mir regelmäßig die Beine so, daß ich den Knoten selbst nicht aufmachen konnte. Natürlich “unbeabsichtigt”. Ich fand es toll, so lange gefesselt zu sein, bis sie zu mir kam und mit der Schere das Seilchen (ich glaube es war ein Stück Wäscheleine) zerschnitt. Sie machte das, ohne zu ahnen, daß sie mir wohl gerade bei meinem ersten Rollenspiel half. Ich wußte damals noch nicht, daß das BDSM sein könnte. Aber wenn ich heute zurückblicke, dann weiß ich es. Ich kann mich erinnern, jedesmal sehr erregt gewesen zu sein. Auch heute noch ist es eine meiner bevorzugten Situationen, hilflos gefesselt zu sein.

Da ich relativ offen mit der Sache umgehe (nur meine Familie weiß nix davon), wissen Kollegen und Kommilitonen Bescheid. Ich versuche dadurch eventuell auftauchenden Gerüchten oder Witzchen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Trotzdem habe ich den Eindruck, daß einige Leute (vor allem Arbeitskollegen) denken, ich oute mich nur, um mich interessant zu machen. Sie äußern sich doch ab und zu ungläubig und meinen, sie könnten sich das bei mir gar nicht vorstellen, ich sei doch so “normal”. Jedesmal bestätige ich aufs Neue, daß ich wirklich “pervers” wäre und versuche manchmal die Vorurteile “uns” gegenüber beiseite zu schaffen. (z.B. Es muß kein Blut fließen ... oder ... da wird nicht so aufs Geratewohl drauflosgeprügelt) Viele weibliche Bekannte finden das sehr interessant, aber nur, solange sie wissen, daß ich keine Beziehung mit ihnen anstrebe. Ändert sich die Situation, sprich: ich strebe eine Beziehung mit der Person an, dann wird das ganze plötzlich belastend und man (besser: frau) möchte nichts damit zu tun haben. Meist mit den Argumenten, daß man (frau) der Person die man liebt, nie weh tun könnte oder daß sie den Respekt vor der Person verlieren, die sich so erniedrigen läßt. Bei Freunden habe ich die positive Erfahrung gemacht, eine Lawine losgetreten zu haben. Plötzlich kam nämlich heraus, daß drei von vier eng mit mir befreundeten Paaren zu Hause BDSM oder zumindest leicht ins Fetischistische gehende Spielchen veranstalten. Das war eine lustige und befreiende Feststellung. Allerdings sind Partybesuche für diese Leute kein Thema. Einige sind in Jobs mit Kundenkontakt oder in gehobenen Stellungen und haben Angst, erkannt zu werden.

Geschlechtsspezifische Angelegenheiten erschweren mir die Sache in zweierlei Hinsicht. Ich bin im täglichen Leben sehr dominant und übernehme unbewußt die “klassische” Männerrolle. D.h., ich versuche, so oft wie möglich der Entscheidungsträger zu sein oder möchte meiner Partnerin das Gefühl vermitteln, ich hätte stets jede Situation voll im Griff, um ihr dadurch ein Gefühl von Sicherheit und Verläßlichkeit zu geben. In meiner Rolle als devoter Mann erkennt mich meine jeweilige Partnerin nicht wieder. Ich möchte mich ihr unterwerfen und jegliche Entscheidung über mich in ihre Hände legen. Bisher hatte ich erst eine Beziehung (von drei längeren), in der die Partnerin damit zurecht kam. Aber sogar sie, die ihre Rolle als “Domina” genoß, war auf Dauer damit überfordert und verlor ihren Respekt vor mir. Nach einer langen Zeit des Kampfes, in der sie fremdging, um den besitzergreifenden Mann in mir wieder zu wecken, beendete sie die Beziehung. Das war und ist das erste und einzige Mal, das ich meine Veranlagung als Fluch ansah und ansehe. Seitdem habe ich nämlich keine Frau wie diese getroffen. Ich glaube die Beziehung dadurch zerstört zu haben, daß ich, ohne nachzudenken, immer mehr von ihr verlangt habe. Der Mann jedoch, den sie am Anfang kennengelernt hatte, war ein anderer. Für sie mußte ein Mann generell “das Ruder in der Hand” haben. Ab und zu mal ein kleines Spielchen war ok, aber sonst ... Kurz gesagt: Da ich durch meine sexuelle Unterwürfigkeit nicht ihrem Idealbild des (geschlechtsspezifisch) “starken” Mannes entsprach, verlor sie den Respekt vor mir und die Beziehung wurde für sie uninteressant. Andererseits entdecke ich mit der Zeit bei mir Vorlieben, die dominante Rolle zu übernehmen, wobei ich mir allerdings selbst im Weg stehe. Aufgrund meiner Erziehung und generellen Einstellung Frauen gegenüber fällt es mir sehr schwer, Gewalt anzuwenden. Ich meine damit psychische wie physische Gewalt. Von der “klassischen” Rollenverteilung her gesehen ist es für einen Mann natürlich einfacher, sich als dominant zu bekennen, als als “Devoter” durch die Welt zu laufen. Bei meinen Ex-Arbeitskollegen in der Autowerkstatt wäre es undenkbar gewesen, zuzugeben, daß man sich z.B. von seiner Frau fesseln läßt oder gar Schlimmeres. Umgekehrt ist es legitim: "Die Alte bind ich heut Abend aufs Bett und dann geh ich ein Bier trinken". Trotzdem habe ich Probleme damit, eine Frau zu dominieren. Ich weiß zwar als “Sub-Mann” um die Gefühle und das Verlangen beim Bestraftwerden, aber irgendwas in mir verbietet mir, das mal anzuwenden. Obwohl ich viele Phantasien in diese Richtung habe und auch schon mehrmals eine Bekannte von mir online erzogen habe. Und das fand ich klasse ... Leider ist unsere Psyche nicht immer logisch.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001