Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Ursulas Bericht

 

Im sexuellen Bereich war ich eher eine Spätzünderin. Als ich mit 18 meine erste ernsthafte Beziehung zu einem Mitschüler hatte, und ich meine ersten – über feuchte Küsse hinausgehenden – sexuellen Erfahrungen machte, gehörte es für mich dazu, gefesselt zu sein. Zwar fiel es mir sehr schwer, mit meinem Freund darüber zu sprechen, aber es gelang mir immer wieder, ihn zu Fesselspielchen zu überreden.

Ich selber hatte in der Reflexion meiner sexuellen Wünsche sehr ambivalente Gefühle. Einerseits spürte ich das deutliche Verlangen, von meinem Partner geführt zu werden, andererseits passte diese Art der Sehnsucht so gar nicht zu meinem idealisierten Bild von Partnerschaft und Sexualität. Ich war der Meinung, dass sich in der Sexualität die Partnerschaft widerspiegeln solle. Die Vereinigung von Mann und Frau sah ich als Vollendung der Einswerdung, der Verschmelzung. So sollte sie gleichberechtigt, achtsam und liebevoll sein. Ich kam mir mindestens komisch, meistens aber schmutzig und unwürdig vor. Ich habe mich für meine Wünsche geschämt. Wirklich schlimm war für mich, dass ich eines Tages beim Sex den Ekel in den Augen meines Partners sah. Ich war sehr schockiert und war davon überzeugt, dass das mein Fehler war und dass bei mir etwas nicht stimmt. Erst Jahre nach der Trennung schrieb mir dieser Freund, dass er nun schwul lebe und dass er sich deshalb mit unserem Sex immer überfordert gefühlt habe.

Meinem zweiten Freund habe ich kurz nach dem Beginn unserer Beziehung meine "komischen" Wünsche gestanden. Ich war ziemlich aufgeregt und musste unbedingt bestätigt werden, dass ich auch mit dieser Macke ein liebenswerter Mensch bin. Er zeigte sich sehr verständig und war sogar neugierig darauf, diese Art der Sexualität (ich hatte seinerzeit keinen Namen dafür und hätte mir und anderen niemals eingestanden, dass es SM sein könnte) mit mir zu erleben. Die anfängliche Neugier und Offenheit hörte aber alsbald auf. Sein Bedürfnis war es, möglichst oft Sex zu haben. Ich hatte aber das Problem, bei einer solchen Häufigkeit ohne zusätzliche Stimulanz durch Fesseln gar nicht feucht zu werden. So wurde auf Dauer die Frage "Mit oder ohne Fesseln?" eine Belastung für unsere Beziehung. Seine anfängliche Toleranz wandelte sich in Andeutungen, dass "das" ja doch nicht ganz normal sei, was mich sehr verletzte und verunsicherte. Schliesslich zerbrach die Beziehung.

Nach einer mehrjährigen Männerpause bin ich dann mit 25 meine dritte feste Beziehung eingegangen. Ich hatte in der Zeit des Erwachsenwerdens und der Auseinandersetzung mit der eigenen Person ein weniger idealisiertes Bild von Sexualität gewonnen und mich halbwegs mit meinem SM-Wunsch angefreundet. Nur noch selten hatte ich rückfällige Phasen, in denen ich mich für mein Sosein schämte und mich für therapiebedürftig hielt. Mein Partner hat mir sehr gut getan. Obwohl ihn SM nicht erregte, gab er mir immer das Gefühl, dass meine Wünsche völlig legitim und ok seien. Ich fühlte mich von ihm vollständig angenommen. Auch war er bereit, SM-Techniken in unser Sexualleben zu integieren. Anfangs habe ich das sehr genossen. Wir experimentierten mit Fesselungen, Kerzenwachs und Wäscheklammern. Irgendwann schlich sich doch ein ungutes Gefühl ein. Einerseits hatte ich das Gefühl, meinen Freund zu überfordern, musste er sich doch immer überwinden, um SM-Elemente in den Sex einzubauen. Er hatte dadurch das Gefühl, mir nie wirklich das geben zu können, wonach ich mich sehnte. Andererseits wuchs mein Verlangen. "wirklich" dominiert zu werden. Wirklich bedeutet dabei, dass ich mir wünschte, dass mein Partner aus sich heraus agieren sollte und nicht etwas "mir zuliebe" machte. Auch hatte ich bei meinem Freund nie den Eindruck, die Kontrolle abzugeben. Ich bestimmte das Geschehen: Ich bat um Fesseln, ich legte Wäscheklammern auf das Bett, ich schlug Experimente mit Kerzenwachs vor. In meinem Wunschtraum wollte ich mich aber unterwerfen, den anderen bestimmen lassen, was mit mir geschieht.

Hinzu kam, dass ich mittlerweile über einen Internetzugang verfügte. Das war für mich eine Offenbarung. Ich konnte Bilder betrachten und dadurch entdecken, dass auch andere meine Bedürfnisse teilen. Ich hatte Gelegenheit, meinen Horizont zu erweitern und meine vagen Phantasien weiterzuentwickeln. Die Sachinformationen, die ich erhielt, halfen mir, meine Wünsche besser anzunehmen und ich erkannte, dass es für ein SM-Spiel hilfreiche Rahmenbedingungen (im Sinne des SSC) gibt. Dadurch, dass andere zeigten, dass sie sich ernsthaft mit SM auseinandergesetzt hatten, konnte ich es auch viel besser für mich als einen normalen Bestandteil der Sexualität definieren. Schließlich lernte ich über Mailinglisten und Chats andere SMler zumindest virtuell kennen und konnte mich mit ihnen austauschen.

Während meine Beziehung schließlich aus anderen Gründen endete, lernte ich parallel einen dominanten Mann im Chat kennen. Wir hatten viele gemeinsame Gesprächsthemen, aber wir entdeckten auch, dass unsere Wünsche und Phantasien zueinander kompatibel waren. Nach einiger Zeit des virtuellen Kennenlernens, fasste ich mir ein Herz und fuhr ihn in seiner 1.000 km entfernten Heimatstadt besuchen. Ich wollte endlich mal SM mit jemandem erleben, dem das auch Spaß machte, den das auch erregte. Ich blieb eine Woche bei ihm und für mich war es, als wäre nach Hause gekommen. Ich war überglücklich, endlich SM in mein Leben gut integriert zu haben, selber eins zu sein. Für mich war es das Gefühl, den letzten Schritt der Selbstannahme gemacht zu haben. Mir war zwar nicht klar, dass ich mit diesem Mann eine dauerhafte Beziehung führen wollte, aber ich wusste sehr deutlich, dass ich nur noch eine Beziehung zu einem SMler wollte.

Mit diesem Mann bin ich nun seit 1 ¾ Jahren zusammen; seit einem Monat wohnen wir zusammen. SM steht weniger als in der Anfangszeit im Mittelpunkt unserer Beziehung, sondern er ist ein ganz normaler Bestandteil unserer Sexualität.

Meinen Eltern habe ich nichts davon erzählt, meine Geschwister wissen es und beide können gut damit umgehen. Menschen, die mir wichtig sind, erzähle ich, dass ich SMlerin bin. Es ist für mich eine Frage der Authentizität. Freunde lernen sehr viele Facetten an mir kennen. SM ist eine davon, die ich nicht von mir absplitten kann und will. Wer mich ganz kennen will, muss mindestens um diese Seite wissen. Menschen, mit denen ich nicht befreundet bin, geht es dagegen nichts an. Sie erzählen mir auch nichts von ihrer Art, Sexualität zu leben.

Ich habe nie therapeutische Hilfe in Anspruch genommen, hatte aber durch meine Nähe zur katholischen Kirche des öfteren Gespräche mit Priestern und kirchlichen MitarbeiterInnen zu dem Thema. Ich wurde durch sie immer ermutigt, dem SM nachzugehen, ihn auszuleben und vor allem als Teil von mir anzunehmen. Ich selber war oftmals noch nicht soweit, meinen Wunsch nach SM zu akzeptieren, aber die positive Zusprache und Ermutigung hat mir sehr gut getan.

In der Phase, in der ich SM noch nicht für mich angenommen hatte und mich des öfteren sogar dafür schämte, war für mich die Integration meiner feministischen Seite und meinem Wunsch nach Unterwerfung ein schwieriges Thema. Wie sollte ich mich in eine Situation der Unterlegenheit begeben, wo ich mich doch andererseits für Gleichberechtigung einsetzte? Es erschien mir nicht korrekt, dass ich mir in der Sexualität patriachale Strukturen wünschte, in denen ein Mann nicht nur die Führung, sondern sogar die komplette Kontrolle übernehmen sollte. [Achtung, Wiederholung] Ursache dieses inneren Konflikts war ein idealisiertes Beziehungsbild. Ich war der Überzeugung, dass sich in der Sexualität die Ausgestaltung der Partnerschaft widerspiegeln sollte. Die Vereinigung von Mann und Frau sah ich als Vollendung der Einswerdung, der Verschmelzung.

Mit dem Ablösen von dieser eher kindlichen Vorstellung von Partnerschaft und der Annahme meiner SM-Facette, legte sich auch das Problem der Vereinbarkeit von Feminismus und SM. Mir wurde klar, dass ich mich niemals "den Männern" unterwerfen wollte, sondern allein meinem Partner. Und auch diese Unterordnung betrifft nicht mein ganzes Leben, sondern nur die Bereiche und Zeiten, in denen ich das will. Sie ist nicht durch irgendwelche gesellschaftlichen Konventionen oder Vorgaben erzwungen, sondern wird von mir freiwillig und lustvoll eingegangen. Allerdings bin ich mir recht sicher, dass ich ein deutliches Störgefühl bekäme, würde mein Partner versuchen, mich "im Spiel" in eine klassische weibliche Rolle (Erledigung der Hausarbeit etc.) zu drängen. Ich glaube, da würde sich ungebremst meine feministische Seite melden und ich könnte diesen – auf anderen Ebenen durchaus reizvollen – Zwang nicht erotisieren. In weiser Voraussicht habe ich jedoch einen Partner gewählt, der kein Interesse an klassischen Rollenvorstellungen und Verhaltensmustern hat und es umgekehrt sehr zu schätzen weiss, dass er sich nicht in das Korsett des ewig starken Mannes zu zwängen hat. Wir leben eine gleichberechtigte Beziehung, in der beide die Stärken des anderen zu schätzen wissen und voneinander lernen wollen.

Ich glaube, der Denkfehler ist manchesmal, Emanzipation mit political correctness in allen Lebenslagen zu übersetzen. Für mich bedeutet sie vor allem Freiheit und im sexuellen Kontext ist es die Freiheit, meine Sexualität selbstbestimmt auszuleben.

Früher hatte ich stark ausgeprägte, nahezu irrationale Outing-Ängste. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie in einer von mir gehaltenen Übung auf einmal das große Tuscheln über mich und meine SM-Neigung losging. Auch hatte ich Angst vor Erpressung oder sexuellen Übergriffen ("Die steht ja drauf.") durch meine Klientel.

Diese Ängste habe ich heute nicht mehr. Ich glaube, das liegt daran, dass der SM für mich nicht mehr so spektakulär ist. Als ich ihn nicht in mein Sexual- und Beziehungsleben integrieren konnte, hatte er aus dem Empfinden des Mangels heraus eine ungeheuer hohe Bedeutung. Dadurch dass heute SM ein ganz einfacher ein Bestandteil meines Sexuallebens ist, mache ich weniger Aufhebens um ihn. Er ist etwas Normales geworden.

Ich fände es immer noch nicht gut, wenn mein Chef oder all meine Kollegen von meiner SM-Neigung wüssten. Das liegt aber vor allem daran, dass ich einfach denke, dass es sie nichts angeht und eine erzwungene Nähe und Intimität schaffen würde, die ich als unpassend empfände. Mir ist die Trennung von Beruflichem und Privatem prinzipiell wichtig. Ich achte darauf, dass nicht zuviel Berufliches ins Privatleben schwappt und umgekehrt, dass Privates nicht zu stark in den beruflichen Kontext eingreift. SM stufe ich hierbei deutlich als sehr privat ein.

SM-Gruppen sind eine tolle Sache. Hier treffen sich Leute – meist in einem recht unverbindlichen Rahmen – die vor allem erst mal nur die eine Gemeinsamkeit mitbringen, dass sie alle SM-Phantasien haben. Es ist dabei irrelevant, ob sie diese ausleben und welche Richtung oder Art sie besonders mögen. Wie bei anderen Gruppen auch, bei denen ein gemeinsames Thema die Leute verbindet, heisst das noch lange nicht, dass man alle Leute spannend, interessant oder besonders unterhaltend empfindet. Auch dienen diese Treffen nicht dem Zweck, einen Partner oder eine Partnerin für eine SM-Session zu finden.

Insbesondere Neuen wird durch Stammtischtreffen die Gelegenheit gegeben, andere SMler kennenzulernen. Viele tun sich schwer, ihren SM-Teil an sich zu akzeptieren und positiv zu belegen. Dies wird scheinbar auch dadurch gefördert, dass in Talkshows und Magazinen häufig eher "schräge" Persönlichkeiten zu SM-Thematiken auftreten, mit denen eine positive Identifikation nicht möglich wird. Durch den Stammtischbesuch haben die Interessierten die Gelegenheit, SMler in einer normalen Umgebung kennenzulernen und festzustellen, dass sie in vieler Hinsicht den Bevölkerungsdurchschnitt repräsentieren. Ich glaube, dass dadurch eine Art Übertragung stattfindet und SM im eigenen Empfinden einen höheren Grad an Normalität gewinnen kann. Darin sehe ich die größte Leistung der Gruppen. Daneben hat man natürlich auch die Gelegenheit, interessierende SM-Themen mit anderen zu besprechen. Natürlich könnte man das auch mit Freunden oder Bekannten machen. Es ist aber unter SMlern oftmals leichter, weil man dann meist weniger Rechtfertigungsdruck ("Ich mag ganz normalen Sex auch gerne.") empfindet.

Ich erzähle nur, wenn ich gefragt werde, weil ich das von manchen gepflegte Patronizing (Du musst, Du solltest, mach auf keinen Fall das ...) für wenig sinnvoll halte. Bei Sachfragen versuche ich, mein Wissen mitzuteilen und verweise auf weitere Quellen sich die gewünschten Informationen zu beschaffen. Das sind dann entweder Personen, von denen ich weiss, dass sie z.B. mit einer bestimmten Praktik Erfahrung habe oder auch Bücher und Webseiten.

Häufiger aber sind Fragen, die die eigene Person und die individuelle Entwicklung betreffen. Meines Erachtens sind die meisten Leute sowieso intelligent und reflektiert genug, um die wesentlichen Fragen für sich selbst zu klären. Deswegen versuche ich vor allem, gut zuzuhören und Denkanstöße zu geben. Ich teile durchaus auch meine Erfahrungen mit, wohl wissend und auch betonend, dass es eben meine sind und somit auch nur bedingt bis gar nicht auf andere übertragbar sind.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001