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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben
Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews
Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...
Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.
Impressum |
Aus dem Nähkästchen
Interview mit Wolf
Ich wußte es schon immer, ich wußte aber nicht immer, was ich schon wußte. Und zwar
war das so, solange ich mich erinnern kann, hatte ich diese Interessen. Eine meiner
früheren Erinnerungen ist, wo ich Tarzan-Comics auseinanderschneide, und zwar die ganzen
Bilder ausgeschnitten habe, wo Tarzan gefesselt wird, oder wo er fesselt,
interessanterweise nicht, wo irgendwelche Frauen gefesselt werden. Die hab ich dann in
einer Kaffeedose gesammelt. Eine andere Erinnerung ist, daß ich einmal von meinen Eltern
Ärger gekriegt habe, als ich als Kind einen Nachbarsjungen gefesselt habe, und es gab
dann einen Vortrag, daß man andere Leute nicht fesselt. Ich weiß noch, daß ich das zwar
irgendwo ethisch eingesehen habe, aber ein Teil von mir gesagt hat: nein, hier fehlt
irgendeine Information. Das war weit vor der Pubertät, da kann ich höchstens elf gewesen
sein. Und irgendwann, als der Stern noch eine richtige Zeitschrift war, hatte ich auch mal
allen möglichen Frauen in der Stern-Werbung Fesseln angemalt. Meine Mutter kam dazu und
fragt mich, warum alle diese Frauen jetzt gefesselt werden. Und ich weiß noch, wie ich
eine Werbung für irgendeinen Tampon angucke und sage, ehrlich gesagt weiß ich das nicht.
Und das Thema wurde nie wieder erwähnt. Aber es ging also so weiter. Im Nachhinein war es
eigentlich immer da und ich stellte irgendwann selbst fest, daß ich in der Lage war, die
meisten Kino- und sonstigen Filme anhand ihrer SM-Szenen einzuordnen und sagen konnte, der
und der Film hatte diese und diese Szene. Wie man das wirklich nennt, hab ich eigentlich
erst relativ spät rausgefunden.
Ich hatte ein oder zwei Vanillefreundinnen, bei denen ich gesagt hab, komm, laß uns das
mal machen. Das war zwar also auch spannend und sowas, aber die hatten irgendwie nicht die
richtige Lust oder konnten damit nichts anfangen oder es waren einfach die falschen
Gegebenheiten ... Zimmer neben den Eltern und sowas. Die erste Frau, mit der ich
geschlafen habe, war aber so drauf. Das war eines dieser Aha-Erlebnisse, in dem Sinne, wo
man da sitzt und sagt: SO geht das. SO hat Gott das gedacht. Hier gehörst du hin, ganz
klar. Ich hatte also mit der Frau superviel Spaß, und irgendwann sind wir
auseinandergegangen und ich habe mich dann erstmal in die Stadtbibliothek zurückgezogen.
Und man glaubt gar nicht, was alles in der Stadtbibliothek zu diesem Thema steht. Ich habe
alles gelesen, und mein erstes Buch in dieser Art war was von einer Dänin, Maria Marcus
hieß sie, mit dem schrecklichen deutschen Titel "Die furchtbare Wahrheit". Und
das war eben eine Frau, die so von ihren eigenen Neigungen erzählte. Und ich weiß noch,
wie interessant ich das fand und wie erleichtert ich war, weil, vorher hatte ich immer
noch den Gedanken, daß einmal nur Männer so drauf sind, und daß praktisch niemand
anders so drauf ist, außer ich und vielleicht ein, zwei andere. Das hat enorm geholfen,
weil mir da klar wurde: Es gibt eine ganze Menge andere, und es gibt auch eine ganze Menge
Frauen, die so sind.
Ich wußte schon, daß das kein Thema ist, das meine Umwelt in Begeisterung stürzen
würde, und es war auch irgendwie zu mir durchgesickert, daß das von vielen als krank
gesehen wird, also pervers ist wahrscheinlich das richtige Wort. Ich hatte auch gelernt,
nicht so richtig mit jedem drüber zu reden, das brachte nicht nur fragende Eltern,
sondern auch allgemein. Aber so richtig formell dazu gelesen hatte ich noch nichts, das
war ... wie alt war ich denn da ... neunzehn, glaube ich. Ich habe es zwischendurch so mal
angedeutet, und die Reaktion meiner Umwelt war meistens nicht so aufregend. Wobei, im
Nachhinein gibt es also Schulbekannte, wo ich jetzt weiß, daß die genauso drauf waren,
die im Nachhinein gesagt haben, sie haben sich nur nicht getraut, zu antworten. Ist
natürlich im Nachhinein sehr witzig.
Das ging dann so weiter, daß ich bei meinem Onkel, der Systemanalytiker war, zuerst das
Internet gesehen habe. Also ich hatte bis dahin die Stadtbibliothek geplündert, ich hatte
erste Schritte, als Schüler sogar noch, in die Unibibliothek gewagt, was ganz aufregend
war, und da hatten sie auch die erstaunlichsten Bücher. Und mein Onkel hatte mir dann
einfach so mal das Internet gezeigt. Und das Internet war damals ... damals gabs noch
keine Webbrowser, damals gabs eigentlich nur die Newsgruppen, und zwar paßten die noch in
eine relativ kleine Datei, und es gab E-Mail. Und unter diesen Newsgruppen gab es eine,
die hieß alt.sex.bondage. Und da hab ich beschlossen: ich will ins Internet. Das war
damals nicht so einfach, weil mein Computer war ein Atari ST. Und der Atari ST ... das war
so in der Zeit, es gab kein Linux, es gab überhaupt keinen Gedanken daran, daß jemand,
der nicht an einer Uni ist, ins Internet könnte, außer er hatte eine sehr sehr große
und sehr sehr teure Unixmaschine. Und ich habe im Prinzip rausgefunden, wie man mit einem
Atari ST ins Internet kommt. Gesicht der Leute ... als ich meinem damaligen Provider
gesagt habe, was für einen Computer haben Sie, und die hatten alle schon aufregende Dinge
wie 386er und Cisco, Unix und ganz tolle Platten und ich hab gesagt, Atari ST und es gab
ne Pause ... Auf jeden Fall hab ich das mit relativ vielen technischen Schwierigkeiten und
gutem Willen ... ich war so mit meinem Surfbrett zwischen diesen ganzen Öltankern, aber
es hat geklappt. Ja, und dann kam ich auf alt.sex.bondage. Und damals gabs noch keinen
Spam, damals gabs noch keine Werbung, man hatte also einfach nur eine Gruppe von Leuten,
die sich alle nach einer Zeit kannten und sehr viel miteinander geredet haben, und ich
habe damals unglaublich viel gelernt. Einmal einfach, daß es wieder andere gibt, dieser
Effekt, du bist nicht alleine, dann andere praktische Sachen und habe auch da zum ersten
Mal gehört, daß es sowas wie eine Subkultur gab. Es gab dann auf einmal deutsche
Gruppen, es gab dann auch eine deutsche Sexgruppe, und in der deutschen Sexgruppe wurde
über SM geredet, und dann bin ich mit irgendeiner Frau da ins Gespräch gekommen, einer
Gabi, und die eröffnete mir dann, daß es eine Mailingliste gab, irgendwann. Und das war
eigentlich mein erster Kontakt mit der Subkultur, über eine Mailingliste im Internet. Da
war ich auch dann sehr glücklich, und schüchtern wie ich bin, bin ich dann erstmal auch
nicht viel weitergegangen als im Internet, da aber extensiv, bis ich dann meine jetzige
Frau kennengelernt habe, was furchtbar stereotypisch ist. Und die hat gesagt, komm doch
einfach mit zu einem Ort namens SMart Rhein-Ruhr. Und da ich ja schüchtern bin, habe ich
mich zuerst gesträubt und gewehrt und dann sind wir irgendwann mal hingegangen und dann
bin ich da praktisch auch geblieben. Das müssen die frühen Neunziger gewesen sein. Zu
SMart bin ich 96, 95 vielleicht so um den Dreh rum gekommen.
Wie, glaubst du, wäre dein Leben verlaufen, wenn da jetzt von außen nichts gekommen
wäre, wie das ja vor etwa zwanzig Jahren noch war?
Sehr, sehr viel unglücklicher. Ich hatte zwischendurch eine Freundin, die ich fast
geheiratet hätte, wir waren uns wesensähnlich, da war das Thema aber eigentlich gar
nicht ansprechbar. Wie gesagt, wir hätten fast geheiratet, und das Problem wäre gewesen,
irgendwann wäre ich todunglücklich gewesen, weil, so schön der Sex mit ihr auch war, es
hätte nicht gereicht. Es wäre immer das Gefühl dabei, was ich bei den anderen habe,
daß das zwar alles nett und schön ist, aber es gibt noch mehr. Das Problem ist auch,
wenn ich die Leute treffe, die tatsächlich die Subkultur aufgebaut haben, diese
Pioniergeneration in Hamburg oder so. Diese Leute haben einfach den Mut gehabt,
rauszugehen und zu sagen, ich gründe eine Subkultur. Den ich nicht gehabt hätte. Ich bin
einfach nicht die Person, die aufsteht vor allen Leuten und sagt: Ich bin so und ich mach
jetzt was und hier ist meine Nase und bewerft mich. Ich bin dann eher der Typ, wenn schon
was ist, dann geh ich da hin und helf das mit aufzubauen, aber den Anfang mach ich nicht.
Das heißt, wenn es nichts gegeben hätte, hätte ich nichts aufgebaut, muß ich zu meiner
Schande gestehen, und dann wäre ich wahrscheinlich virtuell geblieben.
Ich hab im Prinzip eine Zeitlang alles gelesen, was in der Richtung kam. Im Nachhinein ist
es erstaunlich, was für Hefte ich gekauft habe, nur weil das relativ wenig erwähnt
wurde. Das war immer sehr interessant, weil meistens waren die ganzen Berichte eher
negativ. Das war vielleicht nicht offensichtlich, daß sie negativ waren, aber irgendwie
kam am Ende immer dieser Dreh: das ist schlecht, das gehört sich nicht, das tun wir
nicht, also das unterstützt die Vorstellung, daß die Boulevardpresse eigentlich das
Bollwerk ganz tief im Inneren der Gesellschaft ist, das alle Neuerungen und alles andere
zurückhält und konservativer ist als irgendwas anderes. Aber zwischen den Zeilen kam
dabei doch, ganz, ganz wichtig, immer raus: Es gibt andere Leute, die sind so, andere
Leute werden mit dieser Neigung offensichtlich glücklich, egal was RTL oder der Stern
oder andere darüber auch sagen. Und am Ende war das einfach nur, man fand es schon ein
bißchen peinlich. Weil diese Leute haben gesagt, kuck mal her, wie peinlich und wie eklig
und wie pervers das ist, so pervers, daß wir einen Bericht über siebzehn Seiten
Hochglanz darüber machen müssen. Das war dann nachher nur noch lächerlich.
Du hast aber schon eine Verbindung hergestellt, da war von dir die Rede?
Die Verbindung hatte ich schon hergestellt, einfach weil das anziehend war oder weil man
sagt, hey, das möchte ich auch gerne machen oder weil man die Bilder einfach cool fand.
Eine meiner Lieblingszeitschriften für eine Zeitlang war Emma. Weil Emma sich ja enorm
gegen diese SM-Sachen gestellt hat, weil Emma das verteufelt hat und das immer mit ganz,
ganz vielen Bildern tun mußte. Und es gehörte zu einer meiner Übungen, immer am
Zeitschriftenstand, immer wenn ich da war und auf den Bus warten mußte, die Emma
durchzugehen, weil in der Emma waren SM-Bilder. Was ich nachher immer etwas ironisch fand.
Ob Alice Schwarzer wußte, wieviele SMler eigentlich ihre Zeitschrift lesen wegen der
vielen SM-Bilder, ob das nicht ein bißchen dem entgegensteht, was sie eigentlich
vorhatte?
Die größte Verfolgungsjagd in dieser Art war die "Geschichte der O". Ich weiß
gar nicht mal, wo ich zum ersten Mal ... doch, ich weiß, wo ich zum ersten Mal davon
gehört habe. Es gab ein Buch über Soziologie, und in diesem Buch gab es ein Unterkapitel
über Sadomasochismus in den Medien. Unglaublich wissenschaftlich, unglaublich
intellektuelle Masturbation darüber, wie die Soziologie im Zusammenhang mit SM zu sehen
ist, und dabei wurde die Geschichte der O erwähnt, daß das eines der wichtigeren Bücher
sei. Die Geschichte der O wurde auch noch erwähnt in diesem Buch von Maria Marcus, Die
furchtbare Wahrheit, die Geschichte der O wurde auch noch erwähnt in zwei oder drei
anderen Büchern. Auf jeden Fall kam das dauernd wieder auf die Geschichte der O. Und ich
habe beschlossen, ich möchte dieses Buch lesen. Das war dann meine erste Begegnung mit
der Zensur, weil ich dann feststellen mußte, das Ding steht in Deutschland auf dem Index
und ist praktisch nicht mehr zu haben. Ja, dann hab ich also jahrelang versucht, dieses
Buch zu finden, es wurde in Feministinnenzeitschriften angegriffen, es war also sowas wie
der Heilige Gral für eine Zeitlang. Und irgendwann in einer Buchhandlung fand ich es dann
im französischen Original. Dazu muß man sagen, daß ich wegen Französisch jahrelang
versetzungsgefährdet gewesen war. Gerade hatte ich endlich Französisch abwählen können
und damit den Übergang in die Elf etwas gefahrloser schaffen, auf jeden Fall stand ich
dann da und mußte wegen der Ironie selber lachen, daß derjenige, der wegen dieser
Fünfen fast vom Gymnasium geflogen war, gerade seinen Heiligen Gral auf Französisch
gefunden hatte. Und ich war tapfer und ich habe mich tagelang mit meinem
Französischlexikon hingesetzt und die Geschichte der O gelesen, bin auch erstaunlich weit
gekommen und habe dann später eine englische Ausgabe gefunden und irgendwann auch eine
deutsche. Das war so eins dieser Beispiele, wo man etwas in den Medien liest und das als
Ausgangspunkt genommen hat für eigene Recherchen.
In der Unibibliothek habe ich ein, zweimal Bücher von Psychoanalytikern, wie ich heute
weiß, aufgeklappt, wo alles mögliche drinstand, wie krank, gefährlich und böse das
wäre, aber mir war damals schon klar, daß es nicht so sein konnte. Ich weiß noch, daß
ich ein, zwei Absätze gelesen habe und mir gedacht habe, Jungs, ihr seid so weit an der
Wirklichkeit vorbei, ihr habt keine Ahnung. Einfach vom Gefühl her. Weil das, was sie
beschrieben haben und das, wie es sein sollte, keinerlei Verbindung hatte zu dem, wie ich
war. Und mein Gefühl gegenüber der Wissenschaft war immer, vielleicht nicht unbedingt
Betrug, aber das war immer so das Gefühl: Ich wurde angelogen. Das war eigentlich auch
mein Gefühl, als ich zum ersten Mal die Subkultur getroffen habe, andere Sadomasochisten
lebendig getroffen habe und mit ihnen auch nur gesprochen habe, weil irgendwo im
Hinterkopf hatte man immer, naja, das sind vielleicht nicht die Leute, mit denen du
alleine nach Hause fahren möchtest. Bei meiner allerersten SM-Party damals, das war eine
Burgfete von SMart, gab es keine Möglichkeit für mich, nach Hause zurückzukommen mit
öffentlichen Verkehrsmitteln, und da haben sie gesagt, komm, fahr mit diesen Leuten mit.
Und als ich dann in das Auto stieg, zu einem Haufen Leuten in schwarzen Lederklamotten,
die zwar furchtbar nett waren, war doch schon das Gefühl, das ist genau die Art von
Situation, vor der dich deine Eltern gewarnt haben, oder besser gesagt, deine Mutter. Die
waren natürlich furchtbar nett und es ist gar nichts passiert und wir sind heute die
dicksten Freunde, nur irgendwo hatte man das im Hinterkopf: Diese Leute sind gefährlich.
Und als ich mich zum ersten Mal wirklich mit ihnen unterhalten habe, war das ein Gefühl:
ich bin betrogen worden, ich bin angelogen worden, und diese Wissenschaftler haben
versucht, mir etwas wegzunehmen, was mir sehr viel bedeutet. Und das kennzeichnet
eigentlich meine Beziehung zu dieser Wissenschaft über SM bis heute.
Woher kam das, daß du davon nicht zu beeindrucken warst?
Ich war in gewisser Weise schon beeindruckt oder ich habe es wahrscheinlich ernster
genommen, als ich zugeben möchte. Ich glaube, der Punkt war, daß ich an mir selber
nichts sah, was ich als krank oder gefährlich gesehen hätte. Ich hatte nie irgendwie den
Gedanken, laß uns mit Kettensägen rumlaufen und kleine Babys aufschlitzen. Wenn ich die
gehabt hätte und gleichzeitig das gelesen hätte, hätte ich mir schon überlegt, hier
stimmt was nicht. Aber so war das, wovon sie geredet haben oder die Krankheiten, die sie
mir in Verbindung dazu andichten wollten, so vollkommen hergeholt. Man muß sich das
vorstellen, ich war in der Schule - nachdem ich Französisch abgewählt hatte - sehr
erfolgreich, ich hatte einen gut ausgebauten Freundeskreis, alles war eigentlich
modellhaft. Ich hatte keine offensichtlichen psychischen Störungen, daß ich mit dem Kopf
gegen die Wand gehauen hätte oder sonstwas, nur das kleine Detail, daß meine Sexualität
anders war als bei allen anderen. Fast allen anderen. Und dann kommen die her und sagen,
Leute mit dieser Neigung sind grundsätzlich geisteskrank. Was vereinfacht gesagt ja das
ist, was die Psychoanalytiker sagen. Und das paßte einfach nicht. Und meine Erziehung war
so, schon eine wissenschaftlich geneigte Familie, daß die Theorie gut und schön ist,
aber jede Theorie muß den Kontakt mit der Praxis überleben. Und neunzig Prozent der
wissenschaftlichen Theorien zum SM überstehen nicht den Kontakt zur Praxis. Das ist
eigentlich auch nicht verwunderlich, wenn man weiß, daß neunzig Prozent der Theoretiker
niemals in ihrem Leben einen Sadomasochisten getroffen haben. Geschweige denn irgendwas
mit der Subkultur zu tun gehabt haben.
Outing:
Erzählt habe ich es praktisch keinem, das ergab sich meistens nachher so. Das erste, wo
es ein Outing - nicht unbedingt in geplanter Form - gab, war bei einem Freund von mir. Und
zwar war ich mit diesem Freund in meinem Zimmer, meine Eltern waren nicht da, er hatte
seinen Computer dabei und wir haben in meinem Zimmer Doom gegeneinander gespielt oder
irgendein anderes Computerspiel. Auf jeden Fall kamen dann plötzlich zwei Bekannte von
uns vorbei, unter anderem meine spätere Frau, die frisch von irgendeiner Party kamen und
sind dann in einen Nebenraum gegangen und haben da so ein bißchen rumgespielt. Und der
Mann unter den Bekannten hatte noch nie gegen jemand anders in einem Computernetz ein
Spiel gespielt und hat mich dann abgelöst und dann mit dem Freund gespielt, den ich jetzt
hier einfach mal mit dem Namen Volker versehe. Volker wußte nichts von meiner Neigung und
spielte dann gegen diese andere Person Quake, als ich dann mit einer der Damen dann anfing
zu spielen und es kamen dann plötzlich laute Klatschgeräusche aus dem Nebenzimmer, und
es muß sich wohl so zugetragen haben, daß Volker den Bekannten gefragt hat: "Was
ist das?" und er so: "Ja, was glaubst du, was das ist?" und der Freund
dadrauf - wußte wohl, daß sein Gegenüber so drauf war. Der war einer dieser Leute, die
so rumgelaufen sind. Und kuckte dann wohl etwas spanisch und meinte: "Der Wolf
auch?" und der Bekannte, der gar nicht wußte, daß Volker von nichts wußte, sagte:
"Ja, klar." Der hat irgendwann dann später nachgefragt und ich hab es ihm
erzählt und nachher war dann der Volker auch auf Feten und es war eigentlich gar kein
Problem, aber das war eine dieser Sachen, wo er's plötzlich wußte.
Eigentlich das Erstaunlichste ist, wie wenig Probleme es macht, sich geoutet zu haben.
Das hatte ich vorher nie, ich hatte immer große Angst davor, was passiert, wenn's die
anderen wissen. Und im Nachhinein hab ich eigentlich immer wieder die Erfahrung gemacht:
es interessiert sie zwar schon, aber es hat keine Bedeutung. Ich glaube, es liegt daran,
die meisten Leute haben eine Vorstellung davon: das ist für sie nicht wirklich. Sie haben
noch nie so jemand kennengelernt, sie hören's wohl in den Medien, aber das ist so wie
wenn man's vielleicht mit Marsmännchen zu tun hat oder Polarforschern: man weiß
eigentlich nicht, wie man sich denen gegenüber verhält, weil man noch nie einen
getroffen hat, und wenn man dann wirklich einen trifft, ist das immer anders. Probleme
hatte ich bisher eigentlich gar nicht, wobei man auch sagen muß, die Leute, bei denen es
sicherlich Probleme gegeben hätte, denen hab ichs nicht erzählt. Es gibt, glaube ich,
zwei Leute insgesamt, bei denen ich aktiv versuche, daß sie's nicht mitkriegen, der ganze
Rest hat es mehr oder weniger irgendwann mitgekriegt. Meinen Eltern hab ich das irgendwann
mal erzählt, und zwar war das eine Situation, wo ... ich hatte eigentlich immer eine sehr
enge Beziehung zu meinen Eltern. Und meine Freundin damals hatte sich gegenüber ihren
Eltern geoutet und fand das eher schwierig, weil ich hier im gleichen Haus mit meinen
Eltern wohnte, das immer bei meinen Eltern zu verbergen, und meinte: Erzähl das doch mal
deinen Eltern, irgendwann. Und irgendwann war für mich dann, glaube ich, der
übernächste oder überübernächste Tag, und dann hab ich gewartet, bis meine Schwester
aus dem Zimmer war und dann meinen Eltern erzählt: Ich muß euch was sagen, und die haben
wasweißich gedacht, und ich hatte, während ich ihnen das erzählt habe, dieses Gefühl,
wo man sich selbst sprechen hört, aber irgendwie von einem abgetrennt ist, dieses
Unwirklichkeitsgefühl. Es war dann nachher alles schrecklich antiklimaktisch, meine
Eltern haben gesagt, ja, gut, wenn du meinst, uns das sagen zu müssen, wir kennen dich,
wir wissen, daß du nicht gefährlich, geisteskrank oder sonstwas bist. Und dann haben sie
sich angefangen zu streiten: Zuerst hat meine Mutter gefragt, ob mir wehgetan wird, und
mein Vater hat gefragt, gleichzeitig, ob ich anderen Leuten wehtue, und bevor ich
antworten konnte, haben sie dann angefangen, sich zu streiten, was schlimmer wäre. Und
als ich endlich ein Wort einbringen konnte und sagen konnte, daß das alles irgendwie
etwas komplizierter, aber auch gleichzeitig einfacher ist, war schon eine
riesenphilosophische Diskussion über die Rolle als Top und Bottom entbrannt. Meine Eltern
haben eigentlich nie damit Probleme gehabt, es ist klar, daß sie sich Gedanken drüber
gemacht haben, es ist auch klar, daß sie bestimmt die Phase hatten, was haben wir falsch
gemacht, aber das Schöne ist, beide haben einen gewissen psychologischen Hintergrund, und
ihnen war eigentlich auch klarzumachen, daß eigentlich nichts mit mir passiert ist,
sondern daß ich einfach passiert bin, oder meine Neigung einfach passiert ist, ohne daß
sie irgendwas dran hätten machen können.
Hast du irgendeine eigene Theorie?
Ich kenne inzwischen drei Haupttheorien: Die eine ist, ich bin so geboren, die andere ist,
das hab ich unterwegs aufgeschnappt, und die, die ich am spannendsten finde, ist, das hab
ich mir irgendwann bewußt gewählt. Wobei ich bei der dritten immer meine Zweifel habe.
Bei mir ist das ganz klar, daß ich damit geboren wurde. Ich habe kein einziges
einschneidendes Erlebnis, wie das bei den Fetischisten anscheinend oft ist, wo die sagen,
das wars, so bin ich so geworden. Sondern solange ich mich erinnern kann, hatte ich ein
Interesse dafür. Es gibt auch nichts, was damit in Verbindung stehen würde, ich bin
nicht geschlagen worden als Kind, ich bin nicht zu stark gewickelt worden, vor Gewalt
wurde ich erstaunlich viel abgeschirmt, und es gehört einfach so sehr zu mir, daß es gar
nicht vorstellbar für mich ist, wie es später entstanden oder dazugekommen sein könnte.
Ich kann an mir auch keine sonstigen psychischen Defizite entdecken, wo man sagen könnte,
hier gab's irgendeine Schädigung geistiger Art, körperlich hab ich sowieso alle Finger
und Zehen, die man haben muß, ich seh einfach nicht, wie das erworben sein könnte. Von
dem, was ich mitgekriegt habe, unterscheidet sich meine Kindheit nicht drastisch von der
anderer Kinder. Ich bin Erstgeborener, es gibt ja die Theorie, daß Sadomasochisten
praktisch ausschließlich Erstgeborene oder Einzelkinder sind, das könnte ich nur
bestätigen, aber ich weiß auch nicht, ob das in irgendwelchen Erbanlagen stecken würde,
oder irgendwie bei der Geburt oder vor der Geburt oder sonstwas ... ich weiß nur, daß
es, soweit ich das in irgendeiner Form nachvollziehen kann, nicht später erworben wurde.
Solange ich mich erinnern kann, habe ich es, solange ich mich erinnern kann, war das Teil
meiner Sexualität und auch meiner frühesten Phantasien.
Hattest du jemals den Wunsch, das alles loszuwerden?
Ich nehme an, daß ich ihn irgendwann gehabt habe, relativ früh, einfach nur aus dem
Gefühl der Einsamkeit heraus. Aber das hat sich sehr bald gelegt, weil ich das immer als
Erweiterung empfunden habe. Ich habe nie das Gefühl gehabt, mir fehlt irgendwas, und ich
habe auch jahrelang sehr lustvollen Vanillesex gehabt. Die SM-Sache sehe ich eigentlich
eher als einen Glücksfall, weil Sachen für mich erotisch sind, die für die Vanilles
offensichtlich keine Bedeutung haben, was ich sehr schade finde. Ich würde mich mit
Händen und Füßen dagegen wehren, das loszuwerden, es ist allerdings auch nicht so, daß
ich sagen würde, ich gehöre zu irgendeiner seltsam geformten Elite. Ich habe zwar das
Glück, daß ich sehr viel mehr Erotisches aus Alltagsgeschehen herausholen kann, sehr
viel mehr Erotisches überhaupt aus der Welt ziehen kann als offensichtlich meine
Mitmenschen. Allerdings zahlt man da auch einen gehörigen Preis dafür. Man gehört einer
Minderheit an, und wer nicht zu einer Minderheit gehört, der weiß nicht, was das
bedeuten kann, über die Jahre, mit der Einsamkeit. Man braucht beim SM einen größeren
Overhead, was Kommunikation angeht. Das ist zwar, wenn man erstmal Übung darin hat, gar
nicht mal so schlimm, aber einfach, wir gehn jetzt in die Falle, ohne ein Wort zu sagen,
und vögeln uns blau, geht nicht mit irgendeiner Bekannten. Man muß sich schon hinsetzen
und überlegen, was magst du, was magst du nicht, was kannst du nicht leiden, und sei es
auch noch so kurz. Das heißt, ich sehe das als eine deutliche Erweiterung, ich bin sehr
glücklich, das mitbekommen zu haben, aber es ist nicht so, als wäre es ein reines
Gottesgeschenk. Es hat auch seinen Preis.
Männerrolle und SM:
Damit hatte ich auch ein Problem. Muß man ganz klar sagen, ich hatte große Probleme und
habe sie in gewisser Weise immer noch, als Bottom in der Öffentlichkeit zu sein. Das ist
ein bißchen komisch, weil eigentlich ist mein Selbstverständnis, daß ich damit keine
Probleme haben müsse, aber es ist ganz klar, als Mann hat man einen gewissen Druck oder
vielleicht auch einfach eine gewisse Vorstellung von sich selbst, ich glaube,
Selbstachtung ist das bessere Wort, daß man Selbstachtung nach außen projiziert, daß
man eine gewisse Form der Stärke nach außen projiziert, und obwohl ich konservativ genug
bin, um das eigentlich alles ganz gut und positiv zu finden, ist es in diesem Fall
hinderlich. Und ich hatte große Schwierigkeiten damit am Anfang, ich würde nach wie vor
sagen, daß ich überwiegend Interesse am Top-Dasein habe. Inzwischen bin ich ehrlich
genug, zu sagen, daß meine Bottom-Neigung größer ist, als ich anfänglich angenommen
habe. Inzwischen ziehe ich einen gewissen Stolz daraus, daß ich überhaupt Schritte in
diese Richtung mache, wo andere Männer mir offenbar nicht folgen können. Das ist
natürlich mehr ein psychologischer Trick und wieselt sich um das eigentliche Problem
herum, daß es ein Problem für mich ist. Aber das besiegt eine Sache, die ich bei anderen
Männern noch wesentlich stärker sehe als bei mir, daß es mit ihrer Selbstachtung nicht
vereinbar ist, auch nur im kleineren Kreis von seiner Partnerin beherrscht zu werden. Es
ist insofern schwierig, weil es intellektuell für mich überhaupt kein Problem ist. Wenn
ich überlege, klar, wir switchen eben in unserer Beziehung, und die Rolle macht mir
Spaß, und die Dinge, die mir Spaß machen, erzähle ich auch jedem, aber das tatsächlich
in der Öffentlichkeit zu tun, da gibts eine gewisse Sperre. Und ich sehe das als
längeres Projekt an, diese Sperre abzubauen. Ob ich sie ganz überwinde, weiß ich nicht.
Es ist schon eine Frage der Selbstachtung. Es ist eine Frage, daß man sagt, möchte ich,
daß die Öffentlichkeit mich in dieser oder jener Rolle sieht. Und es ist auch ganz klar
mit meinem Geschlecht gekoppelt, oder meinem Selbstverständnis als Mann. Wenn man sich
das ankuckt, gibt es eigentlich zwei Kombinationen, die von der Gesellschaft gefördert
werden. Die Möglichkeiten, die es gibt, sehen ja folgendermaßen aus: Man kann Top oder
Bottom sein, man kann männlich oder weiblich sein. Und jetzt haben wir dadurch vier
Kombinationen: Männlicher Top, weiblicher Top, männlicher Bottom, weiblicher Bottom. Ich
habe die Feststellung in frühesten Jahren gemacht, wenn man als Mann hingeht und sagt,
ich habe gerne im Bett die Hosen an, sind alle, vielleicht nicht begeistert, aber es ist
vollkommen in Ordnung. Erstaunlich viele Frauen finden das vollkommen in Ordnung, die
Männer sowieso, und es ist gar kein Problem. Wenn man als Frau hingeht und sagt, ich bin
im Bett lieber passiv oder du kannst mit mir machen, was du willst, kann man sich
anscheinend vor Männern gar nicht retten. Aber wehe, wehe, wehe, man geht hin und sagt,
ich möchte als Mann beherrscht werden oder ich möchte als Frau Macht im Bett ausüben.
Dann ist man gleich entweder ein Weichling als Mann und überhaupt nicht würdig, in der
männlichen Gesellschaft zu leben und als Frau ist man für die anderen Männer oder
allgemein für die Vorstellung auch irgendwas Falsches. Und was ich immer daran
interessant fand, das sind genau diese Akzeptanzvorgaben, die man in einem klassischen
Patriarchat erwarten würde: daß der Mann nämlich immer die dominante Rolle hat und das
ist auch gut so, und die Frau immer die unterwürfige Rolle. Das heißt, unsere
Gesellschaft fördert, so ungern ich das als Mann sage, im Bereich SM diese typischen
patriarchalischen Strukturen. Wenn wir einfach von dieser Annahme ausgehen, die für mich
als Mann immer etwas schwierig ist, daß wir in einem großartigen Patriarchat leben, dann
kann man diesen Gedanken weiterspinnen und sagen, alle patriarchalischen Strukturen von
der Kirche über die Medizin bis hin zum Staat haben den Sadomasochismus verteufelt. Und
das wird dann nachher klar, weil der Sadomasochismus hingeht und sagt: Geschlecht hat
überhaupt nichts mit Macht zu tun. Macht ist etwas, das kann beliebig getauscht, bewußt
abgegeben und lustvoll eingesetzt werden. Und das ist ja ein Angriff auf den Kern des
Patriarchats - oder auch des Matriarchats, um das auszugleichen -: Geschlecht und Macht
sind untrennbar verbunden. Und wenn man dann eben davon ausgeht und sagt, wir haben ein
Patriarchat, dann versteht man, warum die Gesellschaft und die Medizin und der Staat und
die Kirche alle gegen den Sadomasochismus waren, denn das bedroht das Patriarchat in
seinem Kern. |